Aktuelles

Ein Plädoyer für Systemische Weiterbildungen in Präsenz

Anlass:

In den letzten Jahren sind nach der coronabedingten Ausnahmesituation von meist größeren Weiterbildungsinstituten zunehmend systemische Weiterbildungen mit einem sehr großen, zum Teil fast 100 % igem Anteil an Online-Unterrichtseinheiten angeboten worden, die bisher alle zu einem DGSF-Zertifikat führen. Dies widerspricht meines Erachtens dem Satzungsauftrag der DGSF, die Qualitätssicherung der systemischen Weiterbildungen durch die (Weiter-)Entwicklung von Weiterbildungsstandards sicherzustellen ( § 2, Abs. f der DGSF-Satzung ).

Mein Plädoyer:

Ich bin der festen Überzeugung, dass Online-Weiterbildungen einen Qualitätsverlust gegenüber Präsenzweiterbildungen in unserem speziellen Weiterbildungsfeld bedeuten. Mein Plädoyer: Ich bin der festen Überzeugung, dass digitale Lehre im Bereich der Weiterbildung zu Systemischen Berater*innen und Therapeut*innen gegenüber der Präsenzlehre grundsätzlich einen Qualitätsverlust darstellt. Ich glaube, dass die digitale Vermittlung von systemischen Weiterbildungsinhalten den zentralen Bereich der Persönlichkeitsentwicklung zu einer systemischen Beraterin bzw. Therapeutin nur unzureichend abdecken kann.

Diese Überzeugung wird von vielen Ausbildungskolleg*innen, mit denen ich gesprochen habe, geteilt.

Bei der syst. Weiterbildung geht es zu einem großen Teil um Persönlichkeitsbildung bzgl. systemischer Grundhaltungen und weniger um fachspezifisches Wissen und Faktenvermittlung wie in anderen Weiterbildungen. Grundhaltungen können sich nur langsam in einem gemeinsamen Weiterbildungskosmos entwickeln, in dem diese Grundhaltungen präsent und spürbar sind und von den Teilnehmenden adaptiert werden können. In der Präsenzlernatmosphäre kann solch ein Raum entstehen. In digitalen Räumen fehlen dazu der direkte Blickkontakt, das Teilen einer gemeinsamen Atmosphäre ( jeder befindet sich im eigenen, oft sehr unterschiedlichen Kontext ), ein Wir-Gefühl. Mir persönlich fällt es sehr schwer, zu Menschen eine Ausbilderbeziehung aufzubauen, denen ich nicht direkt in die Augen schauen kann; dies gilt vermutlich auch für die Teilnehmenden untereinander.

Die Online-Teilnehmenden befinden sich immer in 2 Welten: in ihrer realen Umgebung mit zahlreichen Attraktionen und notwendigen Reaktionen und in der digitalen Welt der Weiterbildung. Vermutlich ist für die Teilnehmenden die reale Umgebung spürbarer als die virtuelle. Der für die Persönlichkeitsentwicklung zur Systemischen Beraterin oder Therapeutin enorm fruchtbare Gruppenprozess ist nur abgeschwächt spürbar. Persönliche Begegnungen sind seltener möglich, da die Teilnehmenden oft weit voneinander entfernt leben. Online-Weiterbildung können bundesweit und darüber hinaus angeboten werden. Der Beziehungsaufbau unter den Teilnehmenden und zur Weiterbildungsleitung ist erschwert und kann weniger zur Persönlichkeitsentwicklung genutzt werden ( was übrigens bei einer modularisierten Weiterbildung mit immer wieder wechselnden Lehrenden auch der Fall ist; das war der Grund für die 60%-Regelung in den Richtlinien ). Und: die Reaktionen sind andere, wenn Informationen oder Geschichten nur auf dem Bildschirm erlebt werden.

Rückmeldungen von Präsenz-Teilnehmenden machen immer wieder deutlich, dass die gemeinsam verbrachten Pausenzeiten wesentlich dazu beitragen, theoretische und methodische Inhalte in eine systemische Grundhaltung zu transformieren. Demgegenüber werden Online-Pausenzeiten von den Teilnehmenden sehr individuell in ihrer realen Umgebung genutzt.

Grundsätzlich gilt für mich: Menschen, die ich nur auf Kacheln sehe und nur aus einem Lautsprecher höre, sind für mich erheblich weniger persönlich erreichbar wie Menschen, mit denen ich eine reale Gruppenatmosphäre teile.

Argumente, die für eine Online-Weiterbildung sprechen, werden in der Regel nicht mit Qualität, sondern mit monetären bzw. Bequemlichkeitsvorteilen begründet. Möglicherweise wählen viele Teilnehmende diese Weiterbildungsform auch, weil sie dadurch weniger ‚Nebenkosten‘ haben:

  • keine Fahrtkosten und Fahrtzeiten
  • keine Übernachtungskosten
  • keine Organisation von Kinderbetreuung
  • kein Verzicht auf gleichzeitige Handykommunikation
  • verbunden mit der Möglichkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun bzw. auch in den Pausen schnell anderes zu erledigen und so den Weiterbildungsprozess zu unterbrechen.

Und für die ( großen ) Weiterbildungsinstitute ergeben sich u.U. enorme monetäre und Akquisevorteile, da sie ihr Angebot bundesweit bewerben können.

Alle diese monetären und lebenspraktischen Vorteile der Online-Weiterbildung erhöhen die Qualität einer systemischen Weiterbildung im Sinne einer Persönlichkeitsentwicklung hin zur Systemischen Beraterin bzw. Therapeutin nicht, im Gegenteil: sie minimieren wichtige atmosphärische Bestandteile der Weiterbildung. Und: bisher habe ich von den Befürworter*innen der Online- Weiterbildung noch kein Argument gehört, das für eine Verbesserung der Weiterbildungsqualität spricht, sondern nur Bemühungen, aufzuzeigen, was alles online möglich ist. Das reicht nicht!

Wir leben in einer sich digitalisierenden Welt, oder besser: wir digitalisieren unsere Welt zunehmend. Das bedeutet aber nicht, dass wir diese Digitalisierung unreflektiert vorantreiben müssen. Wir können mit guten Argumenten auch dagegenhalten.

Deshalb: Die systemische Weiterbildung sollte weiterhin in Präsenz durchgeführt werden!

Die aktuelle Situation in der DGSF

In den DGSF-Weiterbildungsrichtlinien wurde bisher nicht zwischen Präsenz- und Online-Weiterbildung unterschieden. Zum Zeitpunkt der Formulierung der Richtlinien war diese Unterscheidung nicht relevant; die Online-Möglichkeiten steckten noch sehr in den Kinderschuhen.

In den von Corona geprägten Jahren, in denen Weiterbildungen in Präsenz sehr erschwert bis unmöglich waren, haben wir Ausbilder*innen die Erfahrung gemacht, dass wir auch online Teile der Weiterbildung umsetzen konnten. Immer wieder gab es Überraschungen, was online alles möglich war. Trotzdem haben sich die weitaus größte Zahl der Systemischen Weiterbildungsinstitute nach Beendigung der Coronapandemie dafür entschieden, zur Präsenzweiterbildung zurückzukehren. Die von mir vermuteten Gründe habe ich oben dargelegt. Wichtig ist mir hier, darauf hinzuweisen, dass das, was in der Pandemie das ‚Bestmöglichste‘ war, unter veränderten Kontextbedingungen nun nicht mehr das ‚Bestmöglichste‘ ist.

Ein großes Systemisches Weiterbildungsinstitut hat nun beantragt, Weiterbildungen mit einem sehr großen Online-Anteil, wie sie in der Pandemiezeit erlaubt waren, grundsätzlich zuzulassen. Weniger als 18% der Unterrichtseinheiten sollen in Präsenz stattfinden; dies kann in jedem beliebigen Bereich sein. Über diesen Antrag soll in der hybriden Mitgliederversammlung im Oktober 2025 entschieden werden. Begründet wird der Antrag damit, dass es eine große Nachfrage nach diesen Online- Weiterbildungen gäbe, die von „wenigen DGSF-Instituten“ angeboten werden, und dass die „Blended-Learning-Weiterbildungen zu einer Erfolgsgeschichte geworden“ seien ( besonders eine ökonomische Erfolgsgeschichte für diese Weiterbildungsinstitute; Anmerkung des Verfassers ). Beiläufig wird darauf hingewiesen, dass dieses Angebot auch in einem anderen Verband umgesetzt werden könnte.

Der Fort- und Weiterbildungsausschuss der DGSF hat inzwischen einen Antrag zu diesem Thema formuliert, der zwar in die richtige Richtung weist, die zentrale Qualitätsfrage aber nicht klar beantwortet.

Bisher hat sich die Mitgliederversammlung mit diesem Thema noch nicht befasst. Nur in der Instituteversammlung wurde 2020 ein Beschluss gefasst, der ‚mit dem DGSF- Vorstand sowie dem Fort- und Weiterbildungsausschuss rückgekoppelt‘ wurde. Beschlossen wurde damals, dass bis 2023 maximal 15 % der UE online stattfinden dürfen. Außerdem wurde auch eine Online-Weiterbildung mit mindestens so viel UE in Präsenz, wie für die Weiterbildung Selbsterfahrungseinheiten gefordert werden, beschlossen; diese UE in Präsenz können aber für beliebige Bereiche eingesetzt werden. Dieser Beschluss wurde 2023 in der Instituteversammlung bis 2025 verlängert. 2024 gab es dann einen detaillierteren Beschluss der Instituteversammlung, auf den sich der Gegenantrag des Fort- und Weiterbildungsausschusses bezieht.

Durch den o.g. Antrag auf Aufhebung der Befristung von Online-Weiterbildungen ist die Mitgliederversammlung nun aufgefordert, gemäß dem Satzungsziel ‚Qualitätssicherung der systemischen Weiterbildungen‘ Stellung zu beziehen.

Für die MV der DGSF wünsche ich mir, dass sich eine große Mehrheit deutlich für das Präsenzformat für systemische Weiterbildungen ausspricht – vielleicht mit einem Online-Anteil von maximal 15 – 20 %. In Gesprächen mit Ausbilderkolleg*innen zeigte sich immer wieder, dass 15 % Online-Weiterbildung ein Kompromiss sein könnte.

Zum Abschluss noch ein Hinweis:

Mein Plädoyer richtet sich nicht gegen Angebote von systemischen Online-Klientenberatungen. Aber das ist ein anderes Thema.

Klaus Osthoff
FFAK Freiburg
Sardinien, im Juni 2025